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Zu Thomas Meinecke

 

„… und so müssen wir unsere Wachsamkeit in Spiel und Revolte der ständig veränderten Situation anpassen: Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie.“

Mode & Verzweiflung, 1981

 

Der TransLit-Poetikprofessor Thomas Meinecke, geboren in Hamburg, zuhause in der Nähe von München, ist Schriftsteller, Musiker, DJ und Produzent von Hörspielen. Bereits während des Studiums u.a. der Neueren deutschen Literatur in München gründete er gemeinsam mit seiner heutigen Ehefrau, der Künstlerin Michaela Melián, sowie mit Justin Hoffmann und Wilfried Petzi die Avantgarde-Zeitschrift Mode und Verzweiflung. Mit ihnen hat er auch 1980 die Band F.S.K. (Freiwillige Selbstkontrolle) mitbegründet, zu deren Line-up er bis heute gehört. Sein literarisches Debüt, der Kurzgeschichtenband Mit der Kirche ums Dorf, erschien 1986. Seitdem hat er verschiedene, viel beachtete Romane publiziert, darunter The Church of John F. Kennedy (1996), Tomboy (1998), Hellblau (2001), Musik (2004), Lookalikes (2011) und Selbst (2016). Mit u.a. Tomboybewarb der Suhrkamp-Verlag unter der Überschrift „Pop ist eine Praxis“ die Arbeiten dreier Autoren, nämlich Rainald Goetz, Thomas Meinecke und Andreas Neumeister – geboren war der Suhrkamp-Pop. Von 2007 bis 2013 war er außerdem Kolumnist für das Berliner Magazin Groove – die Texte sind 2013 unter dem Titel Analog publiziert worden. Für sein künstlerisches Schaffen ist er u.a. mit dem ‚Düsseldorfer Literaturpreis‘ (2003) und dem ‚Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel als Radiokunst‘ (2008) ausgezeichnet worden.

 

Töne, Klänge, Wörter und ihre „Summe“: kunst- und theorieförmige Texte oder auch akustische Performances sind bei Thomas Meinecke nicht unabhängig voneinander zu denken. Sein Schreiben vergleicht er in einem Interview mit dem „Plattenauflegen, wo man über ein paar Stunden ein Set hat, das man vorher niemals wirklich planen kann. Man nimmt sozusagen einen Pool an Tonträgern mit, ist sich aber am Anfang noch nicht bewußt, in welcher Reihenfolge die dann zum Einsatz kommen werden, weiß aber, dass die sich zueinander irgendwie verhalten, und legt mit einem Mischpult und zwei Plattenspielern los. Unten heraus kommt dann die Summe. Das Schöne ist daran oft, dass nicht ganz klar ist, was man da eigentlich gerade hört, dass man da vermischen kann, dass man sozusagen zitieren kann – so ist es jedenfalls auch bei meinem Schreiben – ohne An- und Abführungsstriche quasi, Dinge überblenden, gleichzeitig laufen lassen kann.“ Es geht darum, in einem offenen Konzept auf die Gegenwart zu reagieren – eben dies macht Meinecke zur idealen Besetzung der TransLit-Poetikprofessur, deren Formate auf kreative Wechselwirkungen setzen. 

 

Auflegen, mischen und zitieren sind auch die Techniken, auf die Thomas Meinecke zurückgegriffen hat, als er an der Goethe-Universität Frankfurt, einem für Poetikvorlesungen einschlägigen Ort, seine Poetik vorstellen sollte. Solche Vorlesungen, in denen ein Autor über seine Art, Text zu produzieren, souverän monologisiert, wirken vor dem Hintergrund der jüngeren Theorien von Text und Autorschaft inzwischen ein wenig anachronistisch bzw. wie aus der Zeit gefallen. Das Ergebnis liegt heute als Publikation bei Suhrkamp vor, betitelt ist es mit Ich als Text – es zeigt, wie das Paradox kreativ gelöst werden kann. Die minimalistische Wortverbindung Ich als Text ist mehr als die Ankündigung eines (temporär) in Textform gebrachten ‚Ichs‘. Mit den Begriffen der Lacan’schen Psychoanalyse lässt sich sagen, dass die Formel ein „Steppunkt“ (point de capiton) ist: die Signifikantenverbindung durchzieht die mit Meineckes Autorschaft versehene Diskursproduktion in den verschiedensten Medien; sie stabilisiert die Bedeutung und stiftet ein Sinngefüge aus Differenzen – wenn auch nur zeitlich begrenzt. Die Wortverbindung ‚steppt‘ Textsorten und Medien: Ich als Text ist der Titel eines von dem Autor für F.S.K. geschriebenen Songs aus dem Jahr 1998. Ich als Text ist der Titel eines Essays von ihm aus dem Jahr 2000, Extended Versionsteht dahinter. Ich als Text ist der Titel der Frankfurter Poetikvorlesungen, gehalten und publiziert 2012. Vorgetragen hat Meinecke Kritiken seiner Arbeiten (die nun in gleichnamigem und bei Suhrkamp publiziertem Buch noch einmal versammelt sind), zwischendurch: immer wieder Musik. „Ich als Text“ steht im Zentrum von Thomas Meineckes poetologischem Programm – und er buchstabiert diese Formel variantenreich aus, sowohl in seinen literarischen Texten als auch in seiner Musik und im Hörspiel. Der von Roland Barthes verkündete ‚Tod des Autors‘ wird von Meinecke immer wieder beschworen, wenn es um seine eigenen Arbeiten geht: „Den Autor, das vermeintliche Subjekt“, schreibt er in dem 2000 veröffentlichten Essay, „zum Objekt werden zu lassen. Ich als Text. Grenzenloses Grauen vor der originellen Idee. So sitze ich also an meinem Arbeitsplatz, zwischen Türmen von Büchern, die auch Records sind, und ziehe mir nacheinander, der musikalischen Logik eines DJ Sets folgend, meine Materialien heraus.“ In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kündigt er seine Poetikvorlesungen wie folgt an: „Ich werde deshalb ein Patchwork vortragen aus Texten, die schon mal irgendwo veröffentlicht worden sind. Von mir und über mich. Es sind auch Verrisse dabei.“ Und in einem Gespräch mit Eckhard Schuhmacher sagt Thomas Meinecke: „Die Kontinuität bei F.S.K. ist die immergleiche Methode, sich irgendeines Materials anzunehmen. Das kann eben Country & Western sein oder auch Techno. Dadurch gleicht unser Musikmachen strukturell eher dem Rezipieren von Musik. Und diese Fanhaltung des Rezipierens immer neuer Musikarten, irgendwelcher historischen Äquivalenzen zu dem, was gerade neu interessant ist, bedingt auch dauernd einen Wechsel der Geräusche. Irgendein Ding zu perfektionieren, einen Stil, mit dem man dann für immer und ewig identifiziert werden würde, lag nie im Interesse der fünf Mitglieder dieser Band.“ Seine Art, Musik und Kunst zu produzieren, mag als „Sampling“ oder als „parasitäres Schreiben“ bezeichnet werden, als „ernsthafte Archivierungs- und Kombinationsarbeit“, sie ist darüber hinaus aber auch vor allem eines: die Möglichkeit von Anschlüssen in ganz unterschiedliche Richtungen, die nicht geplant, sondern abhängig gemacht werden vom zur Verfügung stehenden Material. „Das macht für mich die ganze Lust am Schreiben aus“, sagt Thomas Meinecke, „dieses Ozeanische, Texte, die nach allen Seiten offen sind.“

Diese Literatur/Theorie/Kunst, in deren Zentrum eine Depotenzierung der Autorschaft steht, wollen wir gemeinsam diskutieren, über die Grenzen von Genres und Medien hinweg. Die grundsätzliche Ironie, dass Veranstaltungsformen wie die hier mit diesem Text beworbene dann doch – wie klammheimlich auch immer – eine Präsenz des Autors nach der Ausstreichung der Bedingung seiner Möglichkeit (die originelle Idee, die Eigentümlichkeit des Genies, die allem Zitieren vorausliegende höchst eigentümliche Kreativität) behaupten, gilt es zu thematisieren – oder, wenn es gelingt, ästhetisch zu begreifen – und sei es als in einem ersten Schritt als Ironie, die auch den großen Ernst, der Pop von Zeit zu Zeit befällt, wieder einholt.

 

Torsten Hahn / Christof Hamann

 

Verwendete Literatur

-        Daniel Lenz / Eric Pütz: Interview mit Thomas Meinecke. Über Pop, Literaturbetrieb und Feminismus, in: literaturkritik.de, aufgerufen 4.6.2017.

-        Juliane Löffler: „Mann ist ein Schimpfwort“. Interview. Der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke bezeichnet sich als Feminist. Frauen hält er ohnehin für die besseren Intellektuellen, in: Der Freitag v. 3.8.2015.

-        Thomas Meinecke: Ich als Text (Extended Version), in: Zuerst bin ich immer Leser: Prosa schreiben heute, hg. v. Ute-Christine Krupp and Ulrike Janssen, Frankfurt/M. 2000, S. 14-26.

-        Jens-Christian Rabe: „Es ist schwieriger geworden mit den Feinden“. Der Schriftsteller, DJ und Musiker Thomas Meinecke über Lady Gaga, deutsche Gegenkultur, München und seine Frankfurter Poetikdozentur, in: Süddeutsche Zeitung v. 7./8.1.2012.

-        Eckhard Schumacher: Pop. Ein Telefongespräch mit Thomas Meinecke, in: http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/braungart/pkw/Artikel/pop.htm, aufgerufen am 4.6.2017.

 

Zum Weiterlesen

-        Moritz Baßler: Thomas Meinecke oder Der Diskurs, in: ders.: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten, München 2002, S. 135-154.

-        Daniel Bowles: Toward a Poetics of the Interview in Thomas Meinecke, in: The Germanic Review 91 (2016) H. 1, S. 25-40.

-        Florence Feiereisen: Der Text als Soundtrack – der Autor als DJ. Postmoderne und postkoloniale Samples bei Thomas Meinecke, Würzburg 2011.

-        Kerstin Gleba / Eckhard Schumacher (Hg.): Pop seit 1964, Köln 2007.

-        Sabine Kyora: „Vom Guten, Wahren und Schönen“? Roman-Poetiken von Autorinnen und Autoren in den Frankfurter Vorlesungen (2010-2015), in: Text+Kritik Sonderband 2016: Poetik des Gegenwartsromans, hg. v. Nadine J. Schmidt u. Kalina Kupczyńska, S. 30-39.

-        Eckhard Schumacher: Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart, Frankfurt/M. 2003.